Ein freier Tag
Hier ist immer was los. Und wenn ich sage immer, dann meine ich auch wirklich immer!
Auf Dauer kann das sehr anstrengend sein. Arbeit bei Diablos, Arbeit im Hostel, neue Bekanntschaften machen und sich von alten Bekanntschaften verabschieden, was dann meist in einer kleinen bis großen Feierei endet usw.
Beschweren will ich mich nicht, denn ich habe eine super Zeit hier in Montréal. Trotzdem ab und zu brauch der Körper dann auch mal Ruhe.
Und so ein ruhiger Tag soll der heutige sein. Jedenfalls habe ich mir das gestern so vorgenommen. Ich muss nicht bei Diablos arbeiten und lediglich den Pupcrawl um 8 Uhr heute Abend leiten. Geht vollkommen klar, also los geht’s!
Ich wache auf. „Irgendwie fühlt sich mein Mund verdammt trocken an.“, denke ich und ahne nichts Gutes. Also schnappe ich mein Messgerät und pikse mir in den Finger. Beeep! 267 mg/dl! „Guten Morgen Michi, dein Blutzucker war über die letzten acht Stunden erhöht, während du schön friedlich geschlafen hast.“, höre ich den Diabetes lachen und denke zähneknirschend: „Du blödes Arschloch! Gestern vor dem Schlafen gehen lagst du noch bei 139.“
Genervt und ziemlich verschlafen greife ich meinen Pen und überlege wie viel Insulin ich spritzen soll. Ich entscheide mich für eine größere Menge die auch schon das anstehende Frühstück abdecken soll, was ich in zirka einer halben Stunde zu mir nehmen will bzw. muss, denn das kostenlose Frühstück im Hostel endet um 11 Uhr. Eine halbe Stunde zum Rumdösen hab ich also noch…
Es ist 12.15 Uhr. Ich wache auf. Fuck! Frühstück verpennt. Oh, oh. Was macht eigentlich der Blutzucker? 59 mg/dl! Jausa! Ich befinde mich im Vollsprint Richtung Unterzuckerung bzw. bin schon langsam am „Verzuckern“. Ab Richtung Küche! Welche Optionen habe ich?
Option Nummer 1: Ein Stück von einem steinharten Baguette, welches selbst wenn es nicht so trocken wäre viel zu lange brauchen würde um in die Blutbahn zu gelangen.
Option 2: Eine Nuss-Nougat-Creme eines italienischen Süßwarenherstellers. Mal ganz nebenbei gefragt: Muss ich hier auf Schleichwerbung achten? Egal! Besagte Nuss-Nougat-Creme wäre eine Option aber gleichzeitig erspähe ich den Getränkeautomaten des Hostels. „Koffeinfreie Limonade mit Limetten- und Zitronengeschmack“, schießt es mir da gleich durch den Kopf aber vor allen Dingen: „ZUCKER“! Ich renne zurück in mein Zimmer und stelle fest: Kein Kleingeld! Und auch keine Scheine die ich an der Rezeption wechseln kann! Also ab ins Nachbarzimmer zu den anderen Volunteers Geld leihen! Das klappt dann auch zum Glück und Ruck-Zuck stehe ich wieder vor dem Getränkeautomaten.
Zack! Da ist das Ding! Flasche auf und los geht die Trinkerei. Halt! Ich hab gerade gar keine Lust auf so etwas Süßes als erstes Getränk nach dem Aufstehen. Auch egal! Worauf ich Lust habe spielt jetzt keine Rolle, denn ich höre den Diabetes wieder im Hintergrund lachen und merke wie sich dieses ach so tolle zittrige und benommene Gefühl der Unterzuckerung langsam anschleicht. Kurze Zeit später haut es mich dann richtig aus den Socken denn eine ganze Welle dieses Gefühls jagt durch meinen Körper. Ach Herrje wie schön… NICHT!
Mittlerweile liege ich wieder in meinem Bett und nuckle an meinem 0,5 Liter Getränk, welches nach kurzer Zeit geleert ist. Das Gefühl der Unterzuckerung bleibt aber noch für die nächsten 20 Minuten bestehen. Toller Start in den Tag denke ich und mir wird bewusst, dass es vielleicht mal wieder an der Zeit wäre eine große Packung Traubenzucker zu kaufen. Bisher hatte ich hier ziemlich wenig Probleme mit Unterzuckerungen, weshalb das ganze wohl etwas in den Hintergrund meiner Gedankenwelt gerückt ist.
Es ist mittlerweile viertel vor 1. Oh Mann… ich wollte doch eigentlich seit 9 Uhr wach sein und einige Dinge erledigen, die in den arbeitsreichen Wochen zuvor auf der Strecke geblieben sind. Mich für Universitäten bewerben, Einkäufe erledigen, mich um den Blog kümmern und meine kurze Tour mit meiner Schwester planen, die mich nächsten Samstag für eine Woche besuchen kommt. Naja, rumweinen kann ich später. Ich entscheide mich dazu an meiner Webseite rumzubasteln und wie ihr euch denken könnt fällt dieser Blogbeitrag auch unter die Kategorie „um den Blog kümmern“. Jetzt ist es 15:49 Uhr und ich fühle mich bereit für den Tag. Schwer verspätet aber was soll’s.
Schade natürlich, dass durch diesen sehr unglücklichen Start in den Tag so viel Zeit drauf gegangen ist aber zumindest den Schlaf scheint mein Körper echt nötig gehabt zu haben.
Dass Überzucker und Unterzucker auch mal Hallo sagen wollten ist halt leider so. Der liebe Diabetes ist nun mal 24/7 präsent und hat riesigen Spaß daran einen unerwartet zu ärgern und dich auf jeden klitzekleinen Fehler im Rahmen deiner Therapie aufmerksam zu machen um es dir dann anschließend unter die Nase zu reiben. Mir persönlich ist es vor allen Dingen wichtig die unterschiedlichen Blutzuckerschwankungen zu verstehen und im Nachhinein nachvollziehen zu können, was sie verursacht hat.
Noch viel wichtiger ist mir aber ein Gedanke, der ebenso logisch wie simpel ist. Diabetiker sind natürlich auch nur Menschen und Menschen, ich denke das ist bekannt, machen gerne Fehler. Also kein Grund sich wegen solch einem missratenen Start den Rest des Tages versauen zu lassen. Wie meine Kollegen aus Australien sagen würden „No Worries!“.
In diesem Sinne, lasst euch vom Diabetes nicht die Stimmung vermiesen!
Liebe Grüße aus Montréal,
Michi
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