Auch wenn es die Überschrift nicht sofort erahnen lässt gehört der folgende Blog-Post ganz klar zu der Kategorie „traurig/deprimierend“, insbesondere wenn man von Typ 1 Diabetes betroffen ist. Das nur schon mal vorab und ich rate euch, wenn ihr Typ 1er seid und bisher einen schönen Tag hattet verschiebt das Lesen dieses Posts vielleicht doch besser auf einen anderen Tag.

Wie fang ich am besten an. Nach 1 ½ Monaten Arbeit am BBQ-Grill hatten unsere Chefs endlich eingesehen, dass es dann doch besser wäre einen Manager einzustellen, um etwas mehr Organisation in das anfängliche Chaos zu bringen. Eine sehr gute Entscheidung, die schnell Früchte trug.

Von heute auf Morgen stand also plötzlich Jason vor uns, der nochmal 4 Zentimeter größer war als ich, XXXXL Klamotten, Sonnenbrille und Gangster Cappy trug und von nun an den Ton angab. Ein paar Tage zuvor wurde ich aufgrund eines Mitarbeiternotstands innerhalb von 2-3 Tagen draußen am Grill eingearbeitet, um in Zukunft auch diesen Posten besetzen zu können. Eigentlich eine Arbeit die bisher nur ausgebildeten Köchen oder Leuten mit längerer Erfahrung überlassen wurde. Naja, dann mal rein ins kalte Wasser.

Dementsprechend übernahm ich ab diesem Zeitpunkt des Öfteren morgens den „Aufbau“ des Grills, was meinem Manager dann jedoch oft nicht schnell genug ging. Zusätzlich durfte ich mir dann auch oft noch Dinge anhören, für die ich gar nichts konnte bzw. für die einfach nicht verantwortlich war. Für mich ein No-Go, denn wenn ich eines nicht mag, dann ist es unfair behandelt zu werden. So staute sich aufgrund dieser meist unnötigen Stresserei, unfairen Behandlung und der Tatsache, dass ich für einen (´tschuldigung!) scheiß Mindestlohn arbeitete eine ordentliche Portion Frust an.

So kam es also wie es kommen musste. Es muss so gegen 11 Uhr gewesen sein, als Jason auf mich zu kam und mir Feuer unterm (´tschuldigung!) Arsch machen wollte, als es aus mir raus platzte. „Heute Morgen gab es Probleme in der Küche und jemand kam zu spät, deshalb dauert der Aufbau heute 5 Minuten länger. Ich bin erst seit einer Woche hier draußen am Grill und brauche für manche Dinge noch etwas mehr Zeit. Außerdem bin ich ein (´tschuldigung!) „fucking“ Sportstudent aus Deutschland, der hier draußen am Grill für Mindestlohn Verantwortung übernehmen soll, ok?“

Daraufhin folgten große Augen, die mich anstarrten und die simple Frage: „You are not a chef?“ „Nein, ich bin kein ausgebildeter Koch.“ Darauf folgte ein ganz kurzer Moment der Stille, ehe er eine Flasche Hochprozentigen und zwei Shot-Gläser in die Hand nahm. „Sorry das wusste ich nicht. Ich dachte du wärst ausgebildet und hättest Erfahrung. Hier sind so viele Dinge die noch geändert werden müssen und die mich stressen. Sorry wenn ich deshalb momentan ein (´tschuldigung!) Arschloch bin.“

Und so verschwanden die beiden Kurzen sowie der Frust, der sich in mir angestaut hatte. Seitdem verstehen wir uns blendend, machen viele Witze und größtenteils ist er mit meiner Arbeit zufrieden. Für einen ausgebildeten Chefkoch war ich verständlicherweise zu langsam in meinen Abläufen, für einen kompletten Anfänger aber gar nicht mal so schlecht denke ich. Missverständnis erfolgreich aus der Welt geschafft!

Naja, so viel als kleine Vorgeschichte. Nun aber zum eigentlichen Thema. Und wer hätte das gedacht es geht um … Tadaaaaa! Typ 1 Diabetes!

Als Jason erfuhr, dass ich Typ 1er bin, merkte ich schnell, dass die Erkrankung für ihn kein Neuland war. Er fragte öfters von alleine, ob mein Blutzuckerspiegel in Ordnung sei und ob ich denn etwas Süßes bräuchte. „7 Up enthält mehr Zucker als Cola.“, sagte er dann immer. Eine Geste, die ich sehr nett fand und zu schätzen wusste.

Irgendwann, ich weiß nicht mehr wie wir darauf kamen, erzählte er mir dann, dass sein Vater bereits verstorben sei. An einem Herzinfarkt. Eine Leidensgeschichte, die wir beide teilen. Er erzählte mir knapp davon und ich erzählte ihm meine Story in Kurzform. Seit diesem Tag habe ich das Gefühl, dass wir uns noch besser verstehen.

Ungefähr vor einer Woche dann gingen wir nach Ende der Arbeit einen Stück des Heimweges zusammen und wir kamen wieder auf das Thema und er erzählte mir mehr von seinem Vater.

Dieser hatte im Alter von 25 Jahren die Diagnose Typ 1 Diabetes bekommen. Er habe damit gut und verantwortungsvoll gelebt. Dann kam jedoch der erste Herzinfarkt. Ich glaube sein Vater muss zu diesem Zeitpunkt so um die 50 gewesen sein, ich weiß es nicht mehr genau. Jedenfalls ein Punkt, der Frustration und Resignation bei ihm auslöste, was sich dementsprechend negativ auf die Therapie des Diabetes niederschlug. Daraufhin folgten Probleme mit den Augen bis zur endgültigen Erblindung, zusätzliche Begleiterkrankungen und Amputationen von Gliedmaßen. Ein Moment, in dem ich erst mal schlucken musste.

Diagnose mit 25, laut Jason’s Aussage verantwortungsvoller Umgang mit der Krankheit, Herzinfarkt, weitere Begleiterkrankungen, Amputationen. Volles Programm… Das muss man zunächst einmal verdauen, wenn man selber von Typ 1 Diabetes betroffen ist und wie ihr euch vielleicht denken könnt triggerte das Gespräch so einige Gedankengänge bei mir.

Wann wird sich der Diabetes in Form von Folgeerkrankungen bemerkbar machen? Wird er das überhaupt? Hab ich Glück oder hab ich Pech? Inwiefern hat das alles überhaupt mit Glück oder Pech zu tun? Wie viel Einfluss habe ich? Wie würde ich damit umgehen, wenn ich mich trotz aller Mühen den ersten Folgeerkrankungen stellen müsste? Würde ich auch resignieren oder wäre ich in der Lage meine sonst so positive Einstellung beizubehalten? Gehe ich momentan zu leichtsinnig mit meinem Diabetes um? Macht mich das zu einem schlechteren Menschen? Was lerne ich aus dieser Geschichte? …

Fragen über Fragen, die man sich als Betroffener in solchen Momenten sowie an schlechten Tagen stellt und die einen auch ängstigen, wenn man sich zu sehr darin verliert.

Auf viele dieser Fragen findet man vor allen Dingen keine Antworten. Allerdings ist es mir sehr wichtig zumindest eine innere Haltung zu ihnen zu besitzen. Damit meine ich zum Beispiel, dass ich natürlich nicht weiß wann und ob sich Folgeerkrankungen bei mir bemerkbar machen werden. Ich kann mich jedoch insofern dazu positionieren, dass ich sage: „Scheiß auf die Antwort, ich gebe einfach mein bestes!“ Eine andere Wahl haben wir ja leider sowieso nicht und sich ewig darüber den Kopf zu zerbrechen macht ja auch keinen Sinn. Von daher entscheide ich mich also dazu so wenig Zeit wie möglich mit diesen negativen Gedanken zu verschwenden und stattdessen mein Ding durchzuziehen. Wäre ja gelacht, wenn mir der Diabetes meinen Zielen im Weg stehen würde.

Und damit sind wir auch schon bei einem weiteren Punkt angekommen. Entscheidungen.

Risiken abwägen, Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen.

Wie bereits berichtet, habe ich hier momentan eine super Zeit worunter meine Blutzuckerwerte teilweise leiden. Ich ärgere mich jedoch nicht allzu sehr darüber, denn es ist eine bewusste Entscheidung von mir. Ich bin mir bewusst, dass das auf Dauer nicht gut für mich ist, weshalb das auch nur eine Episode darstellen wird. Eine Episode durch die ich mich mental so gut und selbstbewusst wie schon sehr lange nicht mehr fühle. Und darüber bin ich einfach unglaublich froh.

Wenn ihr meinen Blog-Post’s regelmäßig folgt oder auch wenn ihr nur diesen Post gelesen habt, wird euch vielleicht aufgefallen sein, dass Diabetes schwere Kost für die Psyche ist. Daher ist es meiner Meinung nach wichtig, dass wir uns auch manchmal etwas gönnen. Natürlich kann man sich auch etwas gönnen, was sich nicht gleich auf die Blutzuckerwerte auswirkt. Wenn es dann aber doch so ist, darf das auch mal sein. Ich glaube wir als Betroffene sind sowieso unsere größten Kritiker und dürfen uns unter der Bedingung bewusst und verantwortungsvoll zu handeln auch mal solche „Therapie-Ausrutscher“ erlauben, wenn wir an anderer Stelle davon profitieren. Schließlich sind wir nicht nur Blutzucker- und HbA1C-Werte.

Das sind also Gedankengänge, die so ein Schicksal, wie das von Jason’s Vater in mir auslösen. Die  Geschichte hat wieder mein Bewusstsein für meine Krankheit geschärft und mir die Verantwortung, die ich für meine Gesundheit habe nochmal deutlich vor Augen gehalten. Ich glaube sie kam zum richtigen Zeitpunkt und hat mich, auch in Form dieses Blog-Post’s zum konstruktiven Denken angeregt. Auch dafür bin ich dankbar.

Wie seht ihr das? Als Betroffene, als Nicht-Betroffene? Wiederspricht ihr mir oder findet ihr euch in manchen Punkten wieder? Welche Entscheidungen trefft ihr? Lasst es mich über den ein oder anderen Weg wissen.

 

Liebe Grüße aus Montréal,

Michi