Juli 2014. Gießen, Deutschland.

Wir sind Weltmeister! Wer sich zurückerinnernt wird sich höchstwahrscheinlich an Autokorsos, Alkohol und ausgelassene Stimmung erinnern. Jedenfalls erinnere ich mich daran, denn es war ja auch einfach nur der Hammer!

Da war nur diese klitzekleine Sache, die mir gegen meinen Willen seit mehreren Tagen im Kopf herum spukte. Die Chance war doch so verschwindend gering. Ach was sage ich, nicht vorhanden! Ich und Diabetes? Niemals!

Der Gedanke ging mir deshalb nicht aus dem Kopf, weil ich in den Tagen und Wochen zuvor ungewöhnlich oft auf Toilette musste. Drei bis vier Mal pro Nacht und auch über den Tag viel zu oft. Dank der Lernerei für unsere Sporttherapieprüfung fiel in meiner damaligen WG spaßeshalber der Satz:“Vielleicht hast du ja Diabetes.“ Hahaha… Ja, damals hatte ich noch gelacht. Gleichzeitig war das aber auch endgültig der Moment, in dem ich anfing unsicher zu werden und zu grübeln. Normal war das jedenfalls nicht.

Sicherheitshalber entschied ich mich dazu einen Termin beim Arzt zu machen um der Sache auf den Grund zu gehen. Das WM-Finale war Sonntags und der Termin Montags. Dienstags kam dann der Anruf auf dem Weg zur Mensa. „Ihre Blutzuckerwerte sind stark erhöht und es besteht dringender Verdacht auf einen manifesten Typ 1 Diabetes.“

Obwohl ich die Antwort wusste, stellte ich die eine verzweifelte Frage: „Was bedeutet das, ist das irgendwie heilbar?“ Die Dame am anderen Ende der Leitung war sichtlich bemüht nichts falsches zu sagen und verwies auf die Sprechstunde am nächsten Morgen.

Juli 2014. Gießen, Deutschland.

Zwei Tage nach dem WM-Finale. Mir wird der Boden unter den Füßen weggerissen und für mich bricht eine Welt zusammen…

April 2016. Montréal, Kanada.

„Welcome everybody to the tuesday night pubcrawl of the ‚Auberge de Jeunesse‘ in Montréal! My name is Michael and I am going to lead the pubcrawl tonight! We are going to…“

Michael „the pubcrawl leader“ ist geboren. Und der Junge kann feiern sag ich euch! Sowohl ohne aber vor allen Dingen mit Alkohol gibt’s für den Burschen kein halten mehr! Außerdem singt der Junge! Wie ein Superstar rockt er jeden Song beim Karaoke. Egal ob Lou Bega’s Mambo No. 5, Everybody von den Backstreet Boys, ja sogar Jogi von Panjabi MC werden von ihm mit engelsgleicher Stimme performt. Jedenfalls kommt’s ihm in diesen Momenten immer so vor 😉

Rammstein stellen zum Ende ihres Songs „AMERIKA“ für jeden, der es bis dahin noch nicht kapiert hat klar „This is not a love Song!“

Wenn ihr es bis hierhin geschafft habt ist euch wahrscheinlich etwas ähnlich offensichtliches klar geworden. Der Michi hat wohl ordentlich die Sau raus gelassen in Montréal. Hmm ja… was soll ich sagen. Ich bekenne mich schuldig!

Bevor es aber weitergeht muss ich hier eine ganz wichtige Sache ansprechen. Es geht in diesem Blog-Post nicht darum Alkoholkonsum bei Typ 1 Diabetes zu verherrlichen. Das wäre ja völlig bescheuert. Genauso idiotisch wäre es aber auch an dieser Stelle den vorbildlichen Typ 1 Diabetiker zu mimen. Es geht lediglich darum offen und ehrlich über meine Zeit im Hostel zu berichten und meine Erfahrungen mit anderen Typ 1ern zu teilen. Dass die Kombination Typ 1 Diabetes und Alkohol nicht gut ist und im schlimmsten Fall sogar tödlich enden kann, ist uns Betroffenen durch unsere Schulungen bewusst und jeder muss für sich selber entscheiden, wie er sich zu diesem Thema positioniert. In den folgenden Zeilen präsentiere ich euch also meine Erfahrungen und meine derzeitige Position.

Pubcrawls, BBQ und Beerpong. Zumindest bei zwei dieser drei Aufgaben meines Volunteer-Jobs wusste ich von Anfang an das wird, sagen wir mal, interessant. Sehr interessant um genauer zu sein. Seit meiner Diagnose konnte ich an einer Hand abzählen, wie oft ich Alkohol in größeren Mengen konsumiert hatte. Und jetzt stand da ein Job vor mir, den man natürlich gänzlich ohne Alkohol durchziehen kann, der aber auch definitiv gewisse Gelegenheiten bietet.

Ziemlich schnell fand ich heraus, dass ich zumindest beim Beerpong auf der sicheren Seite war. Ein, zwei oder auch drei Biere an diesen Abenden hatten meist keinen oder nur geringen Einfluss auf meinen Gemütszustand und meine Blutzuckerwerte. Jedenfalls hatte ich dabei nicht viel mehr Probleme als zum Beispiel beim BBQ. Bei letzterem trank ich natürlich nichts aber wenn man so viele Hot Dogs essen kann wie man will, muss man die Kohlenhydrate in Form von Hot Dog-Brötchen gut kalkulieren können 😉

So richtig schwierig wurde es also hauptsächlich beim Pubcrawl. Insbesondere deswegen, weil diese Abende, besonders der Dienstag, einfach nur super cool und lustig sind. Man lernt wirklich jede Woche neue Leute kennen mit denen man meist eine super Zeit hat. Und so werden dann aus einem Bier mal ganz schnell fünf, plus ein paar Shots.

Ja… So muss das natürlich nicht laufen, war aber bei mir dann doch sehr oft der Fall. Mir fiel es wahrscheinlich auch deshalb so „leicht“ mal spontan einen zu trinken, weil ich mich in meinem Umfeld sehr wohl und gut aufgehoben fühlte. Und dabei bin ich auch schon bei einer Voraussetzung gelandet, die für mich im Umgang mit Alkohol unabdingbar ist.

Jeder meiner Mitarbeiter wusste Bescheid und erkundigte sich oft bei mir, wie es mir denn geht und wo meine Blutzuckerwerte liegen. Diese Atmosphäre trug definitiv dazu bei, dass ich mich sicherer fühlte.

Höchste Priorität hatte für mich außerdem immer die ausreichende Kohlenhydratzufuhr vor dem Schlafen gehen und das vermehrte Messen des Blutzuckers über die Partynacht. Sobald die Werte unter 200 mg/dl lagen, hieß es Kohlenhydrate futtern, denn es ist teilweise enorm erschreckend wie stark der Alkohol den Blutzucker in den Keller jagen kann.

Wenn ich also mal tiefer ins Glas schaue sind sehr, sehr häufiges Messen und viele Kohlenhydrate vor dem Schlafen gehen meine besten Freunde. Oft wache ich morgens mit erhöhten Werten auf, die ich dann aber auch gerne in Kauf nehme. An anderen Tagen zeigt mir mein Messgerät sogar sehr gute Werte an, womit ich nur noch mal mehr betonen will wie wichtig es als Diabetiker ist ordentlich rein zu hauen bevor man die Äuglein schließt.

Essen, Messen und ein vertrauenswürdiges Umfeld. Meine drei Stützpfeiler und Prioritäten. Durch diese Kombination habe ich so einige tolle Pubcrawls mit Alkohol, trotz Diabetes, geleitet und ich hatte eine unbeschreiblich tolle Zeit!

Für meinen Diabetes war es bestimmt nicht immer die beste Lösung, das steht außer Frage. Für mich als junger Kerl, der einfach mal wieder richtig Bock hatte Vollgas zu geben, wie es so viele Leute in meinem Alter unbeschwert machen, war es einfach nur der Hammer, eine lehrreiche Erfahrung und eine unvergessliche Zeit.

Ja… lehrreich. Als ich im Sommer 2014 diagnostiziert wurde brach für mich eine Welt zusammen, weil ich das Gefühl vermittelt bekam, dass von nun an alles anders wird und der Diabetes so ziemlich jeden Bereich meines alltäglichen Lebens beeinflussen wird. Und was soll ich sagen… Ja das tut er auch, aber das bedeutet nicht, dass man total eingeschränkt ist. Nein! Es bedeutet „lediglich“, dass man sich seiner Verantwortung für den eigenenen Körper bewusst sein, viel organisieren und öfters als der Nicht-Diabetiker abwägen muss, welche Entscheidungen man für sich und seine Gesundheit trifft.

Ich würde das ganze als persönliches Diabetes- oder Krankheitsbewusstsein bezeichnen, welches individuell ist und die Basis jeder Therapie sowie deren Verlauf darstellt.

Was man eben definitiv nicht vergessen sollte ist, dass man auch mit Typ 1 Diabetes richtig gut Party machen kann, ohne dabei Verantwortung und Bewusstsein für die Erkrankung komplett über Bord zu werfen. Dabei ist es wichtig die richtigen Schritte vor, während und nach der Feierei zu kennen und anzuwenden.

Der Job hat mir jedenfalls unglaublich viel Spaß gemacht und hat außerdem dazu beigetragen, dass ich meinen Körper in diesen Situationen besser verstehe und mein persönliches Diabetesbewusstsein schärfen konnte. Dementsprechend werde ich die Zeit im Hostel, die tollen Mitarbeiter und all die coolen Bekanntschaften schwer vermissen…

In diesem Sinne, passt auf euch auf wenn ihr feiern geht!

 

Liebe Grüße aus Montréal,

Michi aka. Michael „the pubcrawl leader“ 😉